Donnerstag, 1. Mai 2008

Do-Swidanje Europa

... und aus der Stille sprach eine Stimme zu mir: Laechle und sei froh, es koennte schlimmer kommen. Und ich laechelte und war froh und es kam schlimmer...
Nachdem ich wegen eisiger Kaelte einen zusaetzlichen Tag in Saratov verbracht hatte, wirklich einen sehr schoene Stadt, wo die "Wolga Deutschen" lebten, hat es am naechsten Tag geschneit. Als wir im Buero waren, wo ich das meiste Gepaeck und mein Fahrrad gelassen hatte und ich das Fahrrad holen wollte, hatte es einen Platten. Wharscheinlich habe ich am Tag vorher beim Reifenwechsel nicht aufgepasst. Nutzt alles nichts, von selber geht der Platten nicht weg, also flicken. Es war dann schon 11 Uhr, als ich mir ueberlegt habe, ob ich noch los fahren soll oder nochmals eine Nacht da bleiben. Und wieder mal habe ich mich fuer das Fahren entschieden. Im stroemenden Regen gings los, aber wegen der Freude wieder auf dem Fahrrad zu sitzen, war ich richtig gut gelaunt. Von Saratov geht es ueber die einst laengste Bruecke Europas (3,5 km) ueber die Wolga nach Engels. Das war recht unangenehm. Da kann der Wind ohne Hinderniss darueberbrausen. Danach wurde es besser und erstaunlich frueh erreichte ich Marcks. Ja, das stimmt wirklich, nach Engels kommt Marcks und Marcks ist auch noch kleiner als Engels. Dort bin ich trocken und warm in einem der Fernfahrermotels untergekommen. Irgendwie gehoere ich ja auch zu den Fernfahrern, obwohl ich ausser der Bedienung die einzige Frau bin.
Am naechsten Tag hat es aufgehoert zu regnen, dafuer war Hochnebel, der sich im Laufe des Tages senkte, man hat nicht mehr viel gesehen. Das war auch ganz gut so, denn ich naehrte mich Balakowo, einer Stadt mit viel chemischer Industrie und Kernkraftwerk. Dort, mitten in der Stadt, wurde ich von einem Radler angesprochen, dem es ein Vergnuegen war, mich in der Stadt herumzufuehren. Er hat sich auch im Hotel nach dem Preis erkundigt, der weit ueber meinem Budget lag. Ohne ein Wort mir zu sagen hat Sergej seine Eltern angerufen und mir dann verkuendet, ich bin bei denen eingeladen. Er ist ¼ deutsch, sein Vater ist ein Nachfahren der Deutschen, die von Katharina der Grossen nach Russland geholt wurden. Mir schien es so, als ob er nicht gern deutsch sprechen wuerde. Er war auch der erste und bisher einzige der meinte, fuer Russen waere Deutsch und Faschist immer noch das gleiche. Ich meinte nur, dass ich noch nicht Nachteiliges erfahren haette, im Gegenteil. Trotzdem alle waren sehr nett und die Mutter haette sich gerne mehr mit mir unterhalten, aber sie sprach weder Deutsch noch Englisch und mein Russisch laesst noch schwer zu wuenschen uebrig.


Nach einem pfannenkuchenreichen Fruehstueck liess sich Sergej es sich nicht nehmen, mich noch ein Stueck zu begleiten. Ich habe glaube ich in ihm wachgeruettelt. Er hat bisher auch ein paar Radtouren unternommen, aber nur kurze. Was ich eigentlich auch vermitteln will, ist dass ich mit dieser Reise keinen Traum erfuelle, ich lebe nur mein Leben. Viele erkennen zu spaet, wenn ueberhaupt, dass der Traum vielleicht das Leben gewesen waere und leben am Leben vorbei. Das wichtigste im Leben ist es zu Leben.

Ueber kleine Strassen ging es bis in eine Kleinstadt, wo ich wieder ein Motel fand. Ein Junge kam auf mich zugeradelt und hat auf deutsch mich gefragt, ob ich aus Deutschland kommen wuerde. Zuerst war ich nicht sehr erstaunt, da mir gesagt wurden, dass hier noch ein paar Deutsche leben. Als ich aber seine verkrueppelten Haende sah, dachte ich an Tschernobyl oder Condergan. Die wahre Geschichte erfuhr ich, als ich fuer ihn ein paar deutsche Briefe schrieb. Im Alter von 6 Jahren lebte er noch mit seiner Familie in Usbekistan. Ausversehen langte er dort an einen Transformator und hat somit seine beide Haende zerstoert. 3 Jahre lebte er in Duisburg in einem Friedensdorf, wo Aerzte versuchten zu retten was noch zu retten ist. Er lebt jetzt seit ein paar Jahren mit seiner Familie in Russland und musste so lange warten, bis er endlich jemanden fand, der fuer ihn deutsche Briefe schreibt.


Weiter gings nach Samara, wo ich meine Vorraete and Lebensmittel, Geld und Ersatzteile auffrischen konnte. Die Stadt hat nicht ganz den Flair wie Saratov. Dafuer hat es direkt in der Stadt an der Wolga einen Strand, wo sich sogar ein paar sonnenhungrige in den paar Sonnenstrahlen sonnten.


Sie taten gut daran diese auszunutzen, denn am naechsten Tag wurde es wieder recht kalt. Es geht langsam dem Ural zu, es wird bergiger und neben der Strasse liegen Schneefelder. Am ersten Tag ging es noch mit dem Wind, der zweite Tag war dann nicht mehr spassig. 4-5 Grad und ein eisiger Ostwind. Nach ueber 80 km wollte ich aufgeben und habe in einer Tankstelle nach dem naechsten Hotel gefragt. Ein netter junger Herr meinte, wo ich denn hin wollte und er koenne mich mit nach Ufa nehmen. Das war natuerlich ein Angebot! Da ich sowieso nicht alles in Russland abradeln kann, nahm ich dankend an. Es war dann schon recht spaet, als wir in Ufa ankamen, es waren immerhin noch 250km. Ein brauchbares Hotel war nicht zu finden, da hat der junge Herr mich bei seiner Mutter untergebracht. Mit der Zeitumstellung war es ungefaehr 2 Uhr morgens, als wir dort ankamen. Trotzdem hat sie uns noch Tee gemacht und natuerlich etwas zum Essen hingestellt.

Die Nacht war recht kurz, da Irwan am naechsten Tag wieder arbeiten musste und ich dann auch weiter. Zum Glueck hatte ich schon eine Verabredung in Ufa, d.h. ich musste nur 25 km in die Stadtmitte wo ich von Alina aufgelesen wurde. Den Rest des Tages habe ich dann nur noch ausgeruht. Am Abend hat mir Sascha noch die Stadt gezeit. Es ist die Hauptstadt von Bashkortastan. Langsam sehen die Leute wirklich anders aus. Die Bashkir Leute haben einen Ansatz von asiatischen Augen und Kleider und Braeuche erinnern an die der Mongolen.

Nach Ufa faengt dann wirklich der Ural an. Es wird wesentlich bergiger mit viel Wald.

Wo kein Schnee mehr ist, steht er im fluessigen Zustand immer noch rum. Fuer mich kein Platz zum Zelten, ich steh nicht so auf Wasserbetten. Allerdings werden auch die Abschnitte zwischen den Motels, von Ortschaften kann man hier wirklich nicht mehr reden, groesser. Zum Glueck brauch ich mir jetzt keine Gedanken mehr wegen der Dunkelheit zu machen. Es ist laenger hell, als ich fahren moechte. Um 21.30 ist koennte man immer noch ohne Licht durchkommen.
An dem orthodoxen Pascha Fest habe ich nach ueber 6000 km die ersten Reiseradler getroffen. Ein Paearchen aus Polen. Ich war so erstaunt, dass ich ueberhaupt nicht wusste, was ich eigentlich mit ihnen redden soll. Da faehrt man 10 Wochen so alleine vor sich hin und auf einmal sind noch andere da. Sie wollen auch durch ganz Sibirien fahren. Da sie schneller aussahen, habe ich sie vorbeigelassen. Ich habe sie dann wieder ueberholt, als sie Pause gemacht haben und habe sie seither nicht mehr gesehen.

Ein Busfahrer aus Kasachstan hat angehalten und wollte mich mitnehmen. Er hat es sicherlich gut gemeint, denn da ging gerade ein Schneesturm durch. Diesmal habe ich abgelehnt. Ich wollte einer der interessantesten Strecke in Russland durchfahren. Das Wetter war sowieso recht wechselhaft. Bald darauf schien wieder die Sonne und es war wunderschoen. Das haette ich mir nie verziehen, wenn ich da im Auto gesessen waere.


An dem naechsten Hotel hielt ich an und wollte mal wieder die guenstigste Uebernachtung. Ich wurde zu einem laenglichen Gebaeude gefuehrt. Als ich drin war sah ich, es ist nur ein verkleideter Schlafwagen eines alten Zuges. Sehr originell.


Am naechsten Tag war dann die Uralueberquerung praktisch vorbei. Mit dem Wetter hatte ich eigentlich sehr Glueck, ausser dem ersten Tag war immer strahlend blauer Himmel, aber eisig kalt. Den Wind merkt man in den Bergen nicht so sehr.
Kurz vor Miass habe ich die Europaeisch – Asiatische Grenze ueberfahren. Das war schon ein gutes Gefuehl, wieder etwas erreicht zu haben.

In Miass habe ich beschlossen, ich fahre nicht mehr weiter nach Cherlabinsk, sondern gleich nach Norden auf kleinen Strassen Richtung Ekateringburg. Der Anfang war noch wunderschoen. Erstaunlich viele Datscha-Siedlungen in Nadelwaeldern.
Dann auf einmal zeigte sich der Ural von der anderen Seite. Ich weiss nicht was in Karabasch abgebaut wird (jetzt weiss ich es, es ist Kupfer), aber auf eine Strecke von 10 km war alles tod. Kein Baum, in den Baechen nur rostrotes Wasser, die Erde ockergelb mit tuerkisem Ueberzug. Und wieder mal dachte ich, es ist nicht ueberall gesund Rad zu fahren. Ich wollte nicht mal stehen bleiben um zu fotografieren. Ausserdem dachte ich, dann werde ich sicher festgenommen, das gehoert nicht an die Oeffentlichkeit. Obwohl, die hohen Schornsteine sieht man auch von weitem ueber dem Berg.
Nach Karabasch ist alles wieder, als ob nichts gewesen waere. Schoene Waelder und Erholungslager an wunderschoene Seen. So richtig geniessen konnte ich den Anblick aber nicht mehr.
Am Wegesrand konnte man solch Zweige kaufen, wie am sie in der Sauna benutzt und Besen. Hergestellt von den Aermsten der Armen, die in einfachen Huetten gleich dahinter wohnen.

Da ich aus Ekaterinburg, die Nachricht erhalten habe, dass ich schon am 30. April kommen kann, bin ich gerade durchgefahren. Ich wusste, ich wuerde es schaffen, hoffte aber, dass vielleicht doch noch jemand auf die Idee kommen koennte, mich mitzunehmen. Die letzten 100 km sind nur noch auf einer 2 spurigen Autobahn mit viel Verkehr, also nichts, was man unbedingt gefahren sein muss.
Ungefaehr 30km vor Ekaterinburg hat mich eine Yogalehrerin aufgelesen. Sie sah mich und fand es ganz interessant, was ich mache. Sie faehrt auch Rad, aber nicht so lange Strecken. Wahrscheinlich waere ich mit dem Fahrrad schneller gewesen, denn wir standen nur im Stau, aber ich war froh im Warmen zu sitzen bei netter Unterhaltung.

Heute war dann mal wieder so richtig ein Relaxtag. Da 1.Mai ist, mussten meine Gastgeber auch nicht arbeiten und konnten mich mit dem Auto an den ganzen Zarengedenkstaedten hinfahren. Zuerst waren wir in Ganina Yama, ein Ort im Wald, wo die Leichen gefunden worden sind. Heute befindet sich dort neben der Gedenkstaette ein orthodoxes Kloster des Heiligen Martyrers. Sehr interessant, alle Gebaeude werden nach der alten Methode nur aus Holz, ohne Naegel gebaut.

Dann waren wir noch in der touristisch attraktiveren Version der Europaeisch-Assiatischen Grenze, natuerlich mit Souveniershop. Weil es Glueck bringen soll, treffen sich hier junge Ehepaare und bringen ihre Baender an. Wollen wir hoffen, dass es klappt.

An der Stelle, wo die Zarenfamilie ermordet wurde, steht heute die Kirche des Blutes. Sie soll die teuersten Ikonen Russlands beherbergen. Meiner Meinung nach kann das schon sein. Es strahlt alles nur so von all dem Gold. (Fotografieren natuerlich verboten, darum keine Bilder)

Dazwischen haben wir kurz an einem riesigen Shoppingcenter halt gemacht. So etwas kenne ich eigentlich nur aus USA und haette es hier nie vermutet. Aber die Russen scheinen das “Schoppen” wirklich zu lieben.